Nach der Bildung zweier deutscher Staaten lagen die Ausgangshäfen der beiden Vorkriegsrouten
zwischen Warnemünde und Gedser sowie Saßnitz und Trelleborg auf dem Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik. Vom westdeutschen Territorium aus mußten Reisende und vor allem
Güter den langen Weg über Jütland und den Großen Belt nach Seeland und Schweden nehmen. Das gestaltete sich insofern schwierig, da die Fährdienste der Danske Statsbaner (DSB)
zwischen Nyborg und Korsör schon bald durch dieses jetzt zusätzliche Verkehrsaufkommen überlastet wurden.
Eine Lösung dieses Problems stellte eine bereits vor dem 2. Weltkrieg projektierte Verbindung
zwischen Puttgarden auf Fehmarn und Rødby auf der dänischen Insel Lolland dar. 1941 waren bereits einige bauliche Maßnahmen auf beiden Seiten vorgenommen worden, die jedoch im
Verlauf des Krieges eingestellt wurden. Für die Durchführung dieses Projektes waren allerdings einige Investitionen notwendig, welche die junge Bundesrepublik aber noch nicht in der Lage war
zu bewältigen. So wurde zunächst eine kostengünstigere Alternative gewählt, die dem angestrebten Ziel möglichst nahe kam. Am 15. Juli 1951 eröffnete das Dampffährschiff Danmark
(Bj. 1922, 2915 BRT) schließlich die Route zwischen dem dänischen Gedser und dem auf einem ehemaligen Marineflughafen neu erschaffenen Fährhafen Großenbrode Kai.
Während die DSB ihre alte Danmark von der Warnemünde-Route für eine tägliche Fahrt nach
Großenbrode zur Verfügung stellten, hatte die Deutsche Bundesbahn im Mai 1951 als deutscher Vertragspartner bei den Howaldtswerken in Kiel einen Neubau in Auftrag gegeben. Beim Bau
dieses Schiffes mußte allerdings Neuland betreten werden. Durch den Krieg waren die Bauzeichnungen der Vorkriegstrajekte verloren gegangen, sei es durch Bombenangriffe oder
auch den Umstand, daß die Bauwerften in Stettin bzw. Danzig nicht mehr in der bisherigen Form existierten.
Eine erste feste Größe für die Planer fand sich in der Übereinkunft mit der DSB, die Fährbetten so
anzulegen, daß bei Bedarf die dänischen Schiffe vom Großen Belt eingesetzt werden konnten. Damit stand also auch für das deutsche Schiff der Umriß fest. Beim Bau der Fähranlagen war der
Hafen von Großenbrode auf 6,5 m Tiefe auszubaggern. Um auch bei tiefen Wasserständen eine Reserve zu haben, sollte der Tiefgang des Schiffes nicht wesentlich mehr als 4,5 m betragen. Bei
der Länge einigte man sich mit der DSB auf 114,55 m. Auf drei Gleisen mit einer Gesamtlänge von 256 m sollten so 10 D-Zugwagen á 23,5 m Länge oder 24 Güterwaggons á 10 m Länge
befördert werden. Autos spielten bei den Planungen noch keine große Rolle und sollten „nebenbei“ auf frei gebliebenen Plätzen trajektiert werden.
Nach Ende der Planungen erfolgte am 1. November 1952 in einem Trockendock der
Howaldtswerke die Kiellegung. Zu Silvester wurde der Rumpf in ein Schwimmdock überführt, wo er in aller Stille am 7. Februar 1953 aufgeschwommen wurde. 14 Tage später jedoch vollzog die
Gattin des damaligen Bundesministers für Verkehr, Dr. Ing. Hans Christoph Seebohm, unter großer Anteilnahme die Taufe der Baunummer 980 auf den Namen Deutschland. Die Wahl des
Namens läßt sich schnell erklären: Zum einen hatte das erste deutsche Eisenbahnfährschiff, die oben erwähnte Deutschland bereits diesen Namen getragen. Zum anderen wurde von dänischer Seite bekanntlich die
Danmark eingesetzt, so daß man sich auch internationalen Vorbehalten gegen diesen Namen schnell hätte entledigen können.
Am 17. April 1953 startete der Neubau seine viertägigen Probefahrten. Letztere verliefen so
erfolgreich, daß die Deutsche Bundesbahn bereits am 22. April auf hoher See die Deutschland übernehmen konnte. Fortan führte auf ihr Kapitän Heinemann das Kommando, der ebenso wie
Großteile seiner Mannschaft bereits auf Schiffen der Reichsbahn gefahren war. Die Fähre sollte zur Fahrplanumstellung am 17. Mai 1953 in den Verkehr eingeführt werden. Es blieb also noch
genügend Zeit, das Schiff auf Hochglanz zu bringen und auf seine offizielle Indienststellungsfahrt vorzubereiten.
Als Bundespräsident Prof. Dr. Theodor Heuss (FDP) und die übrigen Gäste der Jungfernfahrt am
9. Mai 1953 in Großenbrode Kai eintrafen, präsentierte sich ihnen ein modernes, schneeweißes Schiff mit blauem Zierstreifen. Die Deutschland unterschied sich erheblich von ihren Vorgängern
und der dänischen Kollegin: Die Brückenfront beispielsweise war ähnlich der Hamburg-Süd-Bauten Santa Theresa und Santa Ines, die beim Hamburger Betrieb der Howaldtswerke
entstanden waren, aerodynamisch und ohne kleine Ecken und Winkel gestaltet.
Der Bugbereich war vollkommen geschlossen, durch eine elektrohydraulisch bewegte Klappe
konnte das Schiff auf dieser Seite beladen werden. Auch am Heck hatte das Schiff eine derartige Klappe erhalten, wobei das Wagendeck hier jedoch auf den letzten Metern offen blieb. Der kurze,
gedrungene Schornstein deutete an, daß das Schiff durch zwei moderne MAN-Dieselmotoren angetrieben wurde, die es mit einer Leistung von 5500 PS auf maximal 17,5 kn bringen konnten.
Das Schiff war mit den modernsten Navigationsmitteln (Radar, Echolot, Decca-Navigator usw.) ausgerüstet.
Mit der Deutschland kehrte auf der noch jungen Route endlich mehr Leben ein. Im ersten
Betriebsjahr wurden zwei Doppelfahrten durchgeführt, auf denen jetzt sogar Reisezüge über diese Linie trajektiert wurden. Das galt auch für die Wintersaison, für die der Rumpf der Deutschland
eine Eisverstärkung erhalten hatte. Für das heutige Verständnis mag es kurios erscheinen, daß dabei im Winter notfalls eine anhaltende Rückwärtsfahrt eingeplant wurde. Zum Schutz des
Ruders wurde für derartige Fahrten sogar ein kleiner Eissporn installiert.
Schon ab dem 23. Mai 1954 wurde eine dritte tägliche Überfahrt angeboten. Zusätzlich setzte nun
auch der Partner DSB ein weiteres Schiff ein. Zunächst war dies die Dronning Ingrid, die Ende 1954 vom Neubau Kong Frederik IX abgelöst wurde. Letzterer mag kühn als modifizierter Nachbau der
Deutschland bezeichnet werden.
Eine zeitgenössische Beschreibung der Deutschland lobt das Schiff über alle Maßen und gibt
den „wohlmeinenden Rat“, eine „Tages-„Deutschland“-Fahrt mitzumachen“: „Wer möchte, kann (...) um 8 Uhr 25 mit dem Fährschiff „Deutschland“ in See stechen, auf dänischem Boden ein paar
Stunden spazierengehen, um den nötigen Appetit für das Smörgasbord zu bekommen, und (...) um 21 Uhr 45 mit „Deutschland“ nach Deutschland zurückfahren.“
Wer einen der 300 Plätze im Restaurant ergattert hatte, mußte lediglich 4,20 DM zum Fahrpreis
von 13,40 DM für diese Rundreise bezahlen, um sich nach dem Motto „All you can eat“, das freilich damals noch nicht so genannt wurde, den Bauch vollzuschlagen. Insgesamt war das Schiff für
1000 Reisende „mit Gepäck zu 80 kg“ ausgelegt, denen neben mehreren Salons für Raucher und Nichtraucher Kaufläden mit zollfreien Waren zur Verfügung standen. Mit den heutigen
Supermärkten waren letztere aber nicht zu vergleichen. Wer sich die Mühe machen wollte, konnte über Treppen (einen Personenaufzug gab es noch nicht) zu den Frisiersalons gelangen, die
allerdings - wie die Ruhekabinen und der „Passagiersalon für Gesellschaftsreisende“ - unterhalb des Fahrzeugdecks lagen. Wenige Passagiere werden dagegen den sogenannten Staatssalon
gesehen haben, der in einem kleinen Aufbau auf dem Brückendeck gelegen war.
Bereits nach kurzer Fahrenszeit gab es an der Silhouette der Deutschland kleine Veränderungen
. Neben den beiden Masten hatte die Fähre bereits von Anfang an einen Radarmast, dem jetzt ein zweiter folgte. Die Deutschland hatte bei höchstens 1100 Menschen an Bord Rettungsmittel für
1500 Personen. Insofern konnte auf die beiden Rettungsboote auf dem Promenadendeck achtern verzichtet werden, da immer noch 10 Boote und 40 Flöße zur Verfügung standen. Zu bemerken ist
auch die Verlagerung der achteren Kommandobrücke. Diese hatte zunächst knapp zwei Meter Abstand zum Abschluß des Bootsdecks, was beim Manövrieren nicht unbedingt günstig war.
Nunmehr schloß sie mit dem Schanzkleid ab.
Rein kosmetischer Natur war die dunkle Lackierung der bisher weißen Fläche unterhalb der
Wallschiene und die Änderung der Farbe des Zierstreifens in grün. Daß letzterer zunächst blau gewesen sein soll, mag manchem Kenner etwas ungewöhnlich erscheinen. In der Zeitschrift
HANSA wird dies 1953 so vermeldet, und ferner liegt dem Verfasser ein Farbphoto des Schiffes im Ursprungszustand vor, auf dem der Streifen blau ist. Später sollten die Fenster der
Brückenfronten nach dem Vorbild der neuen Theodor Heuss (siehe FERRIES 2/1997!) in einheitlicher Größe gestaltet und noch kleinere Veränderungen an der Heckfront vorgenommen werden.
In dieser Form versah die Deutschland bis zum 14. Mai 1963 den Dienst auf der Linie nach
Gedser und war das letzte planmäßige Fährschiff, das den Hafen von Großenbrode Kai verließ. Der Rückweg führte das Schiff bereits nach Puttgarden auf die neue Linie zwischen Fehmarn und
Lolland, die nun Wirklichkeit geworden war. Gemeinsam mit der Kong Frederik IX und der Theodor Heuss, welche die Deutschland 1957 als Flaggschiff der Bundesbahn abgelöst hatte,
absolvierte sie nun sechs tägliche Doppelfahrten auf der Vogelfluglinie zwischen Puttgarden und Rødby.
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